Für eine offene und effiziente Digitalisierung der Kultur (Kulturbotschaft)

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Bern, 19.09.2023

Vernehmlassungsantwort zur Botschaft zur Förderung der Kultur in den Jahren 2025–2028

Gerne nehmen wir die Gelegenheit wahr, im Rahmen der Vernehmlassung zum erläuternden Bericht zur Botschaft zur Förderung der Kultur in den Jahren 2025–2028 (Kulturbotschaft) Stellung zu nehmen.

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Im Bereich der Kultur- und Kulturerbedaten unterhält der Verein seit 2014 eine Arbeitsgruppe, welche offene Daten und partizipative Ansätze unter Kulturerbeinstitutionen fördert und sich mit Fragen der digitalen Transformation im Kultur- und Kulturerbesektor befasst. Zu diesem Zweck organisiert der Verein einen jährlichen Kulturhackathon, an dem sich Vertreter:innen diverser Anspruchsgruppen anhand konkreter Projektideen und Prototypen mit Belangen rund um offene Kultur(erbe)daten auseinandersetzen.

Etliche Vereinsmitglieder haben zudem in der zweiten Hälfte 2022 zur Erstellung des Kapitel 9 des Whitepapers der Swiss Data Alliance zu den EU-Datenräumen aus Schweizer Sicht beigetragen, welches eine Auslegeordnung des aktuellen Standes und eine Identifikation der Herausforderungen im Zusammenhang mit der Schaffung eines Datenraums für Kultur- und Kulturerbedaten enthält (nachfolgend “SDA-Whitepaper”). Die Portraits der mitunterzeichnenden Organisationen finden Sie im Anhang.

Fokus und Struktur der Stellungnahme

Die vorliegende Stellungnahme beschränkt sich entsprechend unseren Kernkompetenzen auf Fragen der Datengouvernanz, des Datenmanagements und der digitalen Transformation im weiteren Sinne. Zu den übrigen Belangen der Kulturbotschaft äussern wir uns im Namen des Vereins nicht; dies ist weder als Zustimmung noch als Ablehnung zu werten.

Die Gliederung unserer Stellungnahme orientiert sich am Fragenkatalog der Vernehmlassung. 

Freundliche Grüsse

Im Namen des Vereins Opendata.ch

Beat Estermann, Vorstand

Florin Hasler, Geschäftsleiter

Mitunterzeichnende Organisationen (Portraits im Anhang):

Jenny Ebermann, Geschäftsleiterin Wikimedia CH

Erik Schönenberger, Geschätsleiter Digitale Gesellschaft

1. Herausforderungen für die Kultur in der Schweiz 

Wie beurteilen Sie die Analyse der aktuellen Herausforderungen für die Kultur in der Schweiz (vgl. Ziff. 2 des erläuternden Berichts)? Stimmen Sie den Zielen zu den sechs Handlungsfeldern im Grundsatz zu? Gibt es grundlegende Elemente, welche nicht erwähnt sind? 

Kap. 2.1 – Kultur als Arbeitswelt

Wir enthalten uns der Stellungnahme zu Kapitel 2.1. 

Kap. 2.2 – Aktualisierung der Kulturförderung

Die Ausweitung der Förderanstrengungen auf die gesamte Wertschöpfungskette (Ideation, Konzeption, Produktion, Vermittlung, Distribution) ist dringend nötig und wird begrüsst. Allerdings sollte Kulturförderung auch Infrastrukturförderung umfassen und im Sinne der Effizienzsteigerung von Supportprozessen kollektives Handeln fördern, wo dieses sinnvoll ist. In der Folge der digitalen Transformation ergeben sich hier zahlreiche Möglichkeiten, die heute noch zu wenig genutzt werden. Dazu zählen beispielsweise die einfachere Zugänglichmachung von Archiv- und Dokumentationsmaterial als möglicher Input im Rahmen des Kreationsprozesses, Künstler:innen-Vermittlungsplattformen, Vermittlungsplattformen für Produktionen der darstellenden Künste, die bessere Vernetzung von Kulturagenden und Veranstaltungskalendern, die Bereitstellung von Informationen zu behindertengerechten Zugängen oder die Nutzung von Videoplattformen als komplementäre Distributionskanäle.   

Zudem sind bei der Analyse der Wertschöpfungskette bzw. des Wertschöpfungsnetzwerks im Hinblick auf eine ganzheitliche Kulturförderung auch die Bereiche Kulturjournalismus, Dokumentation, Gedächtnisbildung, Forschung sowie Aus- und Weiterbildung mit zu berücksichtigen. Eine explizite Erwähnung dieser Aspekte in Kap. 2.2, gegebenenfalls unter Anführung von Querverweisen auf die entsprechenden Kapitel der Kulturbotschaft, ist unseres Erachtens im Sinne einer ganzheitlichen Betrachtung unabdingbar.

Kap. 2.3 – Digitale Transformation in der Kultur

Ad “Faire Rahmenbedingungen im digitalen Umfeld”: Die Herausforderungen der Plattformökonomie mit der damit verbundenen Monopol- bzw. Oligopolbildung sollten besser herausgearbeitet werden. Die infolge der Digitalisierung entstandenen neuen Gegebenheiten sollten in Bezug gesetzt werden zu den Machtgefällen und Verteilungsungleichheiten herkömmlicher Strukturen. Hier fehlt es der Botschaft an analytischem Tiefgang und dem Mut, die grundlegenden Herausforderungen klar zu benennen, was Voraussetzung für tragfähige Lösungsansätze wäre. 

Ad “Sammeln, Archivieren und Vermitteln des digitalen Kulturerbes”: Die Feststellung der sektoriell unterschiedlichen Herausforderungen ist grundsätzlich richtig. Die gemeinsamen Herausforderungen, das Synergiepotenzial und die Notwendigkeit zur Kooperation im Zusammenhang mit der Dokumentation des Kulturschaffens, der Gedächtnisbildung und der Nutzbarmachung des Kulturerbes im Rahmen kreativer Prozesse sollten jedoch besser herausgearbeitet werden. Die entsprechenden Schlussfolgerungen fehlen. 

Der Hinweis auf die Notwendigkeit einer intensiveren Zusammenarbeit zwischen Kultureinrichtungen und Kulturförderstellen und des Verzichts auf Insellösungen wird begrüsst. Im Zusammenhang mit dem Aufbau und dem Betrieb von digitalen Infrastrukturen durch den öffentlichen Sektor ist in diesem Zusammenhang auf die Tallinner Erklärung zu eGovernment zu verweisen, deren Prinzipien von den öffentlich-rechtlichen und öffentlich finanzierten Akteuren in den Bereichen Kulturerbe und Kulturförderung systematisch zu berücksichtigen sind, was heute erst ansatzweise der Fall ist. Offiziell ist in der Tallinner Erklärung von fünf Prinzipien die Rede; diese werden in der Deklaration mitunter in einzelne Teilaspekte aufgeschlüsselt. Besonderen Handlungsbedarf verorten wir im Zusammenhang mit der Kulturbotschaft in den folgenden drei Bereichen:

  • “Für zentrale Leistungen der öffentlichen Hand gilt das Prinzip, dass Bürger*innen bzw. Unternehmen gegenüber der öffentlichen Verwaltung dieselben Angaben nur einmal machen müssen (“once only”); die Verwaltung kümmert sich auf Wunsch der Bürger*innen bzw. Unternehmen um die interne Weitergabe der Informationen” (Marti et al. 2022, S. 301).
  • “Im Sinne der Offenheit und der Transparenz (“openness”, “transparency”) soll Bürger*innen und Unternehmen ermöglicht werden, die sie betreffenden Daten in Basisregistern selber zu verwalten und eine gewisse Kontrolle über ihre Verwendung auszuüben. Des Weiteren sollen Verwaltungsdaten, welche für Wirtschaft oder Gesellschaft von Nutzen sind, standardmässig als offene Daten zur freien Weiterverwendung bereitgestellt (“open by default”) und mit Referenzdatenbanken verknüpft werden (“automatic linkages to databases”). Darüber hinaus ist für die digitale Langzeitarchivierung der Daten und Informationen des öffentlichen Sektors zu sorgen (“long-term preservation”)” (ibid.).
  • “IT-Anwendungen des öffentlichen Sektors sollen interoperabel sein (“interoperability by default”). Zudem soll auf Open-Source-Lösungen und offene Standards gesetzt werden, um die Wiederverwendbarkeit von IT-Anwendungen zu erhöhen – sowohl innerhalb der öffentlichen Verwaltung als auch darüber hinaus (“make ICT solutions available for reuse”). Beim Aufbau von Service-Infrastrukturen sollen Doppelspurigkeiten vermieden werden (“avoid sectoral duplication of service infrastructures”)” (Marti et al. 2022, S. 302).   

Die digitale Transformation bedarf im Bereich der Kultur- und Kulturerbedaten einer bewussten Steuerung und Koordination. Das Konzept von Datenräumen bzw. von Daten-Ökosystemen ist hier sehr hilfreich. Es beinhaltet die technische und semantische Integration von Daten und Dateninfrastrukturen über Organisationsgrenzen hinweg, die gemeinsame Nutzung von Daten und Informationssystemen, daneben aber auch flankierende Massnahmen, wie die Sensibilisierung und Schulung der betroffenen Akteur:innen, den Aufbau von Knowhow und den Austausch von Best Practices, die gemeinsame Entwicklung von Software, die Klärung von rechtlichen und ethischen Fragen sowie die Ausrichtung des Handelns der verschiedenen Akteur:innen auf gemeinsame bzw. gesamtgesellschaftliche Ziele.  

Die föderalen Strukturen der Schweiz sorgen dafür, dass alle regionalen und lokalen Interessen gebührend berücksichtigt werden und eine gewisse Vielfalt des kulturellen Schaffens gewährleistet wird. Wenn es um den Aufbau von zukunftsfähigen Dateninfrastrukturen und die Anpassung von administrativen Prozessen an die Erfordernisse einer digitalen Welt geht, kann der Föderalismus aber auch als Hemmschuh wirken. Wie aus dem SDA-Whitepaper hervorgeht, bedürfen im Kontext der Kulturbotschaft insbesondere die folgenden Bereiche verstärkter Aufmerksamkeit:

–       Digitales Gedächtnis der Schweiz. Im Bereich der Langzeitarchivierung bedarf es einer stärkeren Koordination. Zudem ist die Frage zu klären, was zum digitalen Gedächtnis der Schweiz gehört und für künftige Generationen bewahrt werden soll. Die entsprechenden Prozesse sind so einzurichten, dass die Daten zwischen der Kultur- und Kreativwirtschaft und den Gedächtnisinstitutionen möglichst medienbruchfrei weitergegeben werden können. 

–       Diskriminierungsfreier Zugang zum Kulturerbe. Es bedarf einer einheitlichen Regelung für Digitalisierungsprojekte, welche den diskriminierungsfreien Zugang zu digitalisierten Kulturgütern sicherstellt. Bei Partnerschaften von öffentlichen Einrichtungen mit Privatunternehmen sind die folgenden Mindeststandards einzuhalten:    

a)   Alle generierten Digitalisate werden der öffentlichen Einrichtung zur Verfügung gestellt.

b)   Die Sekundärnutzung der Digitalisate muss ohne zusätzliche Einschränkungen gewährleistet sein. 

c)   Kooperationsverträge öffentlicher Einrichtungen mit Privatunternehmen zum Zweck der Digitalisierung von Kulturgütern unterstehen im Sinne der Transparenz dem jeweilig anwendbaren Öffentlichkeitsgesetz; Nichtoffenlegungsklauseln sind nichtig.

 –      Teilen von Veranstaltungsdaten. Um das Teilen und die Sekundärnutzung von Veranstaltungsdaten zu fördern, bedarf es des koordinierten Aufbaus von entsprechenden Infrastrukturen und der Etablierung einer adäquaten Datengouvernanz. Ziel sollte der Aufbau einer verteilten Dateninfrastruktur sein, die auf den FAIR-Prinzipien (Findable, Accessible, Interoperable, Reusable) basiert.

–       Umgang mit Plattform-Ökologien in Kunst und Kultur. Aktuelle Organisationsformen und Förderstrukturen stehen oftmals im Widerspruch zu den Gesetzen der Plattformökonomie. Zudem gibt es hier noch viel ungenutztes Potenzial für (teils globale) Kooperation und Partizipation.

Once-Only-Prinzip im Bereich der Kulturförderung. Die Schwerfälligkeit und Kleinteiligkeit der Antragsprozesse, die Duplikation von praktisch identischen Anträgen sowie die mangelnde Transparenz für Förderorganisationen im Rahmen der Kulturförderung sind im digitalen Zeitalter zu einer unnötigen Belastung geworden. Hier kann Abhilfe geschaffen werden, indem die städtischen und kantonalen Behörden, allenfalls in Kooperation mit privatrechtlichen Förderstiftungen, im Bereich der Kulturförderung das Once-Only-Prinzip (siehe Tallinner Erklärung, 2017) umsetzen. Wichtig ist auch hier, dass auf offene Standards für den Datenaustausch und auf Open-Source-Lösungen gesetzt wird, um Abhängigkeiten von einzelnen Software-Anbietern vorzubeugen.

Umgang mit dem kolonialen Erbe. In den Sammlungen von Schweizer Museen, Archiven und weiteren Kulturinstitutionen befinden sich hunderttausende Objekte, Fotografien und Dokumente, deren Herkunft mit kolonialen oder anderweitig problematischen Kontexten (z.B. Raubkunst, bedrohte Völker usw.) in Verbindung steht. Die digitale Zugänglichkeit der Sammlungsinventare und Archive ist in diesem Kontext besonders wichtig (s. Kap. 2.5 ad “Umgang mit belastetem Kulturerbe”). 

Kap 2.4 – Kultur als Dimension der Nachhaltigkeit

Wir enthalten uns der inhaltlichen Stellungnahme zu den in Kapitel 2.4 erwähnten Massnahmen und Zielsetzungen. Es fällt auf, dass Reflexionen zur digitalen Nachhaltigkeit und der (ökologisch) nachhaltigen Digitalisierung im Bereich der kulturellen Infrastrukturen weitgehend fehlen. Des Weiteren fehlt eine explizite Einordnung in den internationalen Diskurs zum Verhältnis zwischen Kultur und den Sustainable Development Goals (SDGs), namentlich auch hinsichtlich der Position der Schweiz, was das Ansinnen betrifft, “Kultur” als eigenständiges SDG zu anerkennen.  

Kap 2.5 – Kulturerbe als lebendiges Gedächtnis

Ad “Erhaltung, Weiterentwicklung und Zugang zum Kulturerbe”: Hier wäre explizit auf die Chancen der Digitalisierung im Hinblick auf die Gedächtnisbildung und die Vermittlung in den Bereichen der ephemeren Formen der Kultur (darstellende Künste, Live-Musik, lebendige Traditionen) sowie in den Bereichen Baukultur und Archäologie (z.B. 3D-Modelle) hinzuweisen.

Die Schaffung einer übergeordneten inhaltlichen Strategie zur Erhaltung des Kulturerbes wird begrüsst. Diese sollte insbesondere auch die Ziele, Aufgaben und Zuständigkeiten im Hinblick auf die Sicherstellung des digitalen Gedächtnisses klären.

Ad “Umgang mit belastetem Kulturerbe”: Die Anstrengungen im Bereich der Provenienzforschung und der Restitution von Kulturerbe an die rechtmässigen Eigentümer werden begrüsst. Die geplante Plattform für Provenienzforschung bei Kulturgütern in der Schweiz “sammelt und systematisiert Forschungsergebnisse […] zur Provenienz von Kulturgütern in der Schweiz”. Die Kuratierung und erweiterte Zugänglichmachung von Informationen und Daten zu den betreffenden Sammlungen spielt eine zentrale Rolle und bedarf der verstärkten Aufmerksamkeit und entsprechender Ressourcenausstattung, um unabhängige (Provenienz-)Forschung zu ermöglichen. Hier ist zudem sowohl auf die Chancen als auch auf die Risiken der Digitalisierung hinzuweisen. Die bereits begonnen Aktivitäten von Kulturerbeeinrichtungen zur Schaffung gemeinsamer Richtlinien soll unter Einbezug der relevanten Akteure unterstützt und gefördert werden. Wir verweisen in diesem Zusammenhang auf die “CARE”-Prinzipien für indigene Daten-Gouvernanz der Global Indigenous Data Alliance.

Kap. 2.6 – Gouvernanz im Kulturbereich

Die Forderung nach einer Stärkung der Kooperation und der Koordination im föderalen Kontext wird begrüsst. Wir stellen allerdings fest, dass der Aufbau digitaler Infrastrukturen und die Nutzung von Synergien, die sich infolge der digitalen Transformation ergeben, hierbei bisher zu kurz kommen. Siehe hierzu insbesondere unsere Rückmeldungen zu Kap. 2.3.

Besondere Aufmerksamkeit verdienen die im Entstehen begriffenen Plattformökologien, welche mittlerweile alle Etappen des Wertschöpfungsprozesses künstlerischen und kulturellen Schaffens umfassen. Hier besteht noch viel ungenutztes Potenzial, was Kooperation und Partizipation anbelangt. Geeignete Gouvernanzstrukturen müssen geschaffen und laufend weiterentwickelt werden, wobei der Datengouvernanz ein besonderes Augenmerk zukommen sollte. Zudem ist die Frage zu klären, inwieweit Daten und Inhalte, die im Rahmen von Interaktionen und Transaktionen auf Online-Plattformen rund um kulturelle Themen generiert werden, ins digitale Gedächtnis unserer Gesellschaft überführt werden sollen, um so bspw. auch der Wissenschaft einen einfacheren Zugang zu diesen Daten zu ermöglichen (Stichwort: Wirkungsforschung).

Die europäischen Initiativen im Bereich der Kulturerbedaten gehen von ihrer Stossrichtung her in die richtige Richtung. Allerdings gibt es angesichts der bisher eher verhaltenen Beteiligung von Schweizer Institutionen gewisse Fragezeichen. Hier wäre eine politische und strategische Klärung dringend notwendig: Einerseits sollte die Schweiz bei den gesamteuropäischen Projekten darauf achten, dass sie nicht ins Abseits gerät. Andererseits sollte sie darauf hinwirken, dass sie sich in jenen Bereichen international prominent positioniert, wo Schweizer Akteure in Kooperation mit Partnern aus dem Ausland eine international führende Rolle übernehmen können. Dies ist namentlich in den folgenden Bereichen der Fall (siehe SDA-Whitepaper, S. 74-75): 

–        Nutzung von Wikidata und Wikimedia Commons; 

–     Digital Scholarship Services; 

–     neue Technologien für die Dokumentation, Erschliessung und Vermittlung von kulturellen Praktiken und Kulturerbebeständen; 

– Vernetzung von Kultur- und Kulturerbedaten mit Daten aus weiteren Bereichen. 

Im Sinne einer konsequenten Nutzung dieser Chancen drängen sich aus unserer Sicht die folgenden Massnahmen auf: 

  • Im Rahmen des geplanten Rahmengesetzes für die Sekundärnutzung von Daten (Motion 22.3890 der Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur des Ständerats) ist auch der Kultur- und Kulturerbebereich als strategisch relevanter Bereich zu berücksichtigen. Insbesondere mit Blick auf die ephemeren Formen des Kulturschaffens (Theater, Tanz, Performance, Musik, lebendige Traditionen) ist die Schaffung eines integrierten Datenraums für Kultur- und Kulturerbedaten unabdingbar. Aber auch in anderen Bereichen (Verlagswesen, Kunsthandel, usw.) könnte ein solcher Ansatz hilfreich sein. Generell ist auf die Durchlässigkeit bzw. Kompatibilität mit benachbarten Datenräumen (z.B. Wissenschaft, Tourismus, öffentliche Verwaltung) zu achten.
  • Es bedarf einer vertieften Analyse, welche Ziele durch die Beteiligung von Schweizer Institutionen an den europäischen Kulturdatenpools (Europeana, Archives Portal Europe, usw.) für die einzelnen Nutzergruppen verfolgt werden sollen. Derzeit sind die zu erwartenden Vorteile für die einzelnen Nutzergruppen aus der Schweiz nicht klar genug und bleiben zu vage. Durch Information zu den europäischen Kulturdatenpools und Konsultationen mit den verschiedenen Akteuren des Kultursektors (Institutionen, Nutzer:innen, Geldgeber, Kulturschaffende, usw.) könnte hier  ein gemeinsamer Orientierungsrahmen erarbeitet werden.
  • Die (Wieder)eingliederung der Schweiz in die europäischen Förderprogramme in den Bereichen Forschung & Entwicklung und Kultur ist im Hinblick auf den Aufbau von Dateninfrastrukturen und die Entwicklung/Verbreitung von Best Practices im Umgang mit Daten als prioritär zu behandeln.  Bis zur Normalisierung des Verhältnisses zwischen der Schweiz und der EU sind alternative nationale Fördergefässe bereitzustellen. Daneben sind alternative Wege zu beschreiten, um die internationale Zusammenarbeit von Schweizer Institutionen über den EU-Raum hinaus zu fördern. 

2. Schwerpunkte des Bundes 

Stimmen Sie den vorgesehenen Schwerpunkten des Bundes zu den einzelnen Handlungsfeldern im Grundsatz zu (vgl. Ziff. 3.1.2 des erläuternden Berichts)?

Handlungsfeld “Aktualisierung der Kulturförderung”

Ad Punkt 1 “Der Bund (Pro Helvetia) sorgt in allen Sparten für eine stärkere Berücksichtigung der Arbeitsphasen, welche der Produktion vor- und nachgelagert sind”: Hier sind auch die Bereiche Kulturjournalismus, Dokumentation, Gedächtnisbildung, Forschung sowie Aus- und Weiterbildung mit zu berücksichtigen. In der derzeitigen Formulierung ist unklar, ob diese mitgemeint sind.

Wir halten die Einfügung eines zusätzlichen Punktes für notwendig: Die Kulturförderung des Bundes beinhaltet neu auch Infrastrukturförderung, wobei er im Zusammenhang mit der digitalen Transformation gezielt die Finanzierung von Projekten sicherstellt, welche im Sinne der Effizienzsteigerung von Supportprozessen kollektives Handeln unter den bestehenden Akteuren fördern und die Umsetzung der Tallinn-Prinzipien im Kultur- und Kulturerbebereich begünstigen. Bereiche, in denen entsprechende Massnahmen dringend notwendig sind, sind beispielsweise die Umsetzung von Linked Open Data bei den Veranstaltungsdaten, die Beseitigung von Medienbrüchen bei der Gedächtnisbildung oder die Umsetzung des Once-Only-Prinzips bei den Kulturförderanträgen. Insoweit sich der Bund bei der Förderung des Kulturjournalismus künftig wieder stärker engagiert, ist darauf zu achten, dass die subventionierten Inhalte unter Open-Access-Lizenzen publiziert und nach Möglichkeit gleich bei der Publikation mit den entsprechenden Veranstaltungsdaten verknüpft werden.    

Handlungsfeld “Digitale Transformation in der Kultur”

Hier erscheint uns eine aktivere Rolle des Bundes wünschenswert, ohne jedoch den Kompetenzbereich der Kantone unnötig zu beschneiden (siehe hierzu auch unsere Ausführungen zur Frage 3 “Zusammenarbeit”).

Die digitale Transformation bedarf im Bereich der Kultur- und Kulturerbedaten einer bewussten Steuerung und Koordination. Um diese sicherzustellen, sollte der Bund in enger Zusammenarbeit mit den Kantonen die Federführung übernehmen:

  1. Um den Aufbau von zukunftsfähigen Dateninfrastrukturen und die Anpassung von administrativen Prozessen an die Erfordernisse einer digitalen Welt sicherzustellen: Die Prinzipien der Tallinner Erklärung geben hier den Orientierungsrahmen vor und sind für die Akteure des öffentlichen Sektors verbindlich.
  2. Um den Herausforderungen der Plattformökonomie mit der damit verbundenen Monopol- bzw. Oligopolbildung sinnvoll zu begegnen: Mehrere Prinzipien der Tallinner Erklärung können zu einer Entspannung der Situation beitragen: Offenheit / Transparenz, offene Daten (open by default), Verlinkung von Datenbeständen mit etablierten Referenzdatenbanken; Förderung der Interoperabilität von Software-Lösungen, Favorisierung von Open-Source-Anwendungen, Beseitigung von Doppelspurigkeiten (unter Vermeidung einer Monopolbildung).
  3. Um die Kooperation im Bereich der Gedächtnisbildung zu fördern: Die gemeinsamen Herausforderungen, das Synergiepotenzial und die Notwendigkeit zur Kooperation im Zusammenhang mit der Dokumentation des Kulturschaffens, der Gedächtnisbildung und der Nutzbarmachung des Kulturerbes im Rahmen kreativer Prozesse sind klar zu benennen und ein konkreter Massnahmenplan zu verabschieden. Dabei ist zu definieren, was das “digitale Gedächtnis Schweiz” beinhalten soll und wer für welche Bereiche zuständig ist. Dieser Punkt kann in die Arbeiten zur Entwicklung einer gesamtschweizerischen Strategie zur Bewahrung und Weiterentwicklung des Kulturerbes der Schweiz einfliessen; allerdings wäre eine Beschleunigung des Prozesses wünschenswert; die Herausforderungen bzw. der Handlungsbedarf sind seit Jahren bekannt.

Handlungsfeld “Kulturerbe als lebendiges Gedächtnis”

Die Umsetzung der Motion 20.3930 WBK-S (“Konzept zur Pflege des Kulturerbes der Schweiz”) ist zu beschleunigen. Der entsprechende Bundesratsbericht ist seit Ende 2022 fällig.

Handlungsfeld “Gouvernanz im Kulturbereich”

Ad Schwerpunkt 2: Die Bereitstellung der statistischen Grundlagen und die Entwicklung eines Monitorings zum Kultursektor zur Ermöglichung “einer evidenzbasierten und zielorientierten Kulturpolitik” werden grundsätzlich begrüsst. In diesem Zusammenhang begrüsst werden auch die zugehörigen Fördermassnahmen (5.6.2 Statistik und Monitoring), insbesondere die bessere Nutzung von Administrativdaten, die Bereitstellung der erhobenen Daten als Open Government Data (OGD), die Verankerung von OGD in Leistungsvereinbarungen mit Partnerorganisationen und die Schaffung von Anreizen für Kulturinstitutionen zur Veröffentlichung von harmonisierten offenen Daten.

Bezüglich Schwerpunkt 2 erstaunt jedoch, dass das im Herbst 2022 ins Leben gerufene Observatoire romand de la culture keine Erwähnung findet. Hier erscheint eine Koordination zwischen Bund und (Westschweizer) Kantonen sinnvoll. Die Initiative ist unter dem Gesichtspunkt des Zusammenspiels zwischen Forschung und systematischer Datenbereitstellung zum Zweck der Wirkungsforschung von besonderem Interesse, wobei insbesondere auch den Veränderungen im Zuge der digitalen Transformation Rechnung getragen werden sollte.   

Bei Schwerpunkt 3 ist auch explizit der Bereich der Forschung aufzuführen.

Wir erachten zudem die Einfügung der folgenden Schwerpunkte als notwendig:

  • Im Hinblick auf das geplante Rahmengesetz für die Sekundärnutzung von Daten (Motion 22.3890 WBK-S) fördert der Bund den Aufbau von Datenräumen im Kultur- und Kulturerbebereich mittels entsprechender Anschubfinanzierungen (siehe hierzu auch unsere Ausführungen zum Handlungsfeld “Aktualisierung der Kulturförderung”).
  • Der Bund nimmt unter Einbezug der verschiedenen Anspruchsgruppen eine systematische Überprüfung vor, welche Ziele durch die Beteiligung von Schweizer Institutionen an den europäischen Kulturdatenpools (Europeana, Archives Portal Europe, usw.) für die einzelnen Nutzergruppen verfolgt werden sollen und passt seine Förderpolitik entsprechend an.
  • Der Bund strebt eine rasche (Wieder-)Eingliederung der Schweiz in die europäischen Förderprogramme in den Bereichen Forschung & Entwicklung sowie Creative Europe an. Bis zur Normalisierung der Kooperation mit der EU werden alternative nationale Fördergefässe bereitgestellt, um die Beteiligung von Schweizer Institutionen an EU-Projekten sowie die internationale Zusammenarbeit von Schweizer Institutionen über den EU-Raum hinaus zu fördern.  

3. Zusammenarbeit 

Begrüssen Sie eine verstärkte Zusammenarbeit in der Kulturpolitik zwischen dem Bund und seinen Partnern (Kantonen, Städte, Gemeinden, Kulturverbänden sowie private Kulturförderinstitutionen (vgl. Ziff. 2.6 und 3.1.1 des erläuternden Berichts)?

Eine verstärkte Zusammenarbeit und Koordination zwischen den genannten Akteuren ist dringend notwendig. Der Nationale Kulturdialog als Koordinationsgefäss zwischen den Kantonen und den föderalen Ebenen ist vor dem Hintergrund der Herausforderungen und Ziele der Kulturbotschaft kritisch zu evaluieren. Ein Multistakeholder-Ansatz wäre begrüssenswert. Dabei ist darauf zu achten, dass die zivilgesellschaftlichen Akteure und andere Wissensträger im Bereich der digitalen Transformation (z.B. Verein Opendata.ch; Swiss Data Alliance; Verein Digitale Gesellschaft; Hochschulen) in den Prozess involviert werden. 

Wir möchten in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, dass die konsequente Umsetzung diverser Prinzipien der Tallinner Erklärung die Kooperation zwischen den verschiedenen Verwaltungseinheiten und weiteren Akteuren fördern würde. Namentlich die Umsetzung von Open Data by default, Priorisierung von Open-Source-Lösungen, Verlinkung von Datenbeständen auf gemeinsame Basisregister sowie Harmonisierung und Standardisierung haben eine entsprechende Wirkung. Auch die Umsetzung des Once-Only-Prinzips ist ohne Kooperation der verschiedenen Verwaltungseinheiten nicht denkbar. Während sich sowohl der Bund als auch die Konferenz der Kantonsregierungen (KdK), wie auch diverse Kantone und Städte, in ihren einschlägigen Strategiedokumenten zu den Tallinn-Prinzipien bekennen, hapert es bei der konkreten Umsetzung oftmals noch. Wie die Eidgenössische Finanzkontrolle hinsichtlich der Umsetzung von Open Government Data auf Bundesebene 2018 festgestellt hat, ist die Umsetzung von formal verabschiedeten Strategien durch die öffentliche Verwaltung nicht fakultativ, sondern verpflichtend. Wir stellen uns auf den Standpunkt, dass dies auch für die übrigen Prinzipien der Tallinner Erklärung gilt: Wo diese in den einschlägigen Strategiedokumenten von Kantonen und Städten/Gemeinden (betreffend E-Government, Digitale Transformation, u.ä.) noch nicht enthalten sind, ist dies dringend nachzubessern. Sodann sind die genannten Prinzipien tatsächlich auch umzusetzen. Bis anhin ist nicht erkennbar, dass dies im Rahmen des Nationalen Kulturdialogs ein Thema gewesen wäre. Hinweise auf eine entsprechende Koordination mit der Digitalen Verwaltung Schweiz sucht man im erläuternden Bericht zur Kulturbotschaft ebenfalls vergeblich. Wir würden es begrüssen, wenn in der Kulturbotschaft dargelegt würde, wie der Bund in enger Zusammenarbeit mit seinen Partnern vorzugehen gedenkt, um die Tallinner Prinzipien im Kultur- und Kulturerbebereich konsequent umzusetzen, den Fortschritt der Umsetzung zu überprüfen und darüber transparent Bericht zu erstatten.

4. Änderung des Natur- und Heimatschutzgesetzes

Wir enthalten uns der Stellungnahme zu Frage 4. 

5. Änderung Nationalbibliotheksgesetz 

Die vorgeschlagene Änderung des Nationalbibliotheksgesetzes stellt sicher, dass die Nationalbibliothek ihren Sammel- und Vermittlungsauftrag auch im digitalen Zeitalter erfüllen kann. Hierzu soll eine Pflichtexemplarregelung für digitale Helvetica geschaffen werden. Sind Sie mit der vorgeschlagenen Revision des Nationalbibliotheksgesetzes einverstanden (vgl. Ziff. 6.3 und Anhang 3 des erläuternden Berichts)?

Die neue Pflichtexemplarregelung für unkörperliche Helvetica (“Dépôt légal numérique”) wird im Grundsatz begrüsst. 

Der Umgang mit Inhalten der sozialen Medien und privaten Publikationen im Internet (Blogs, Websites) ist zu klären. In dem Masse, wie soziale Medien oder informelle Online-Formate an die Stelle von klassischen journalistischen Inhalten getreten sind, sollten diese ebenfalls für die Nachwelt erhalten werden. Dies gilt insbesondere auch für die Rezeption von kulturellem Schaffen (Erlebnisberichte, Rezensionen, usw.). Der semi-öffentliche Charakter vieler dieser Inhalte dürfte allerdings Herausforderungen hinsichtlich des Schutzes des Persönlichkeitsrechts und der Privatsphäre mit sich bringen, die entsprechend angegangen werden müssen.

Anhang

Im Folgenden finden Sie die Portraits der Organisationen, welche diese Stellungnahme mitunterzeichnen:

Digitale Gesellschaft

Die Digitale Gesellschaft ist ein gemeinnütziger und breit abgestützter Verein für Bürger- und Konsumenten­schutz im digitalen Zeitalter. Wir setzen uns seit 2011 als ­zivilgesellschaftliche Organisation für eine nachhaltige, demokratische und freie Öffentlichkeit ein. Wir verteidigen die Grundrechte in einer digital vernetzten Welt. Die Digitale Gesellschaft informiert und berät Individuen und ­Institutionen zu Konsumenten- und Rechtsfragen im ­digitalen Raum. Die gemeinnützige Organisation schätzt Technologiefolgen ab hinsichtlich der möglichen Auswirkungen auf die Grund- und Menschenrechte und bietet Dienste, Software-­Projekte und Workshops zur digitalen Selbstverteidigung an.

Wikimedia CH

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